Es gibt viele Dinge, um die man die Einwohner von Breslau beneiden kann, aber das vielleicht Wichtigste ist die nicht greifbare, unaufdringliche Energie und die entspannte Einstellung, die man in den eleganten Jugendstilstraßen der Stadt finden kann. Die Atmosphäre der historischen Hauptstadt der Region Niederschlesien und der viertgrößten Stadt Polens wird von der Oder geprägt, die sich in mehreren Armen und Flußschleifen durch das Stadtzentrum schlängelt und zahlreiche Inseln bildet. Nach verschiedenen Schätzungen sind sie durch 100 bis 130 Brücken miteinander verbunden!
Breslau ist die einzige Stadt dieser Größe in Europa, die im letzten Jahrhundert einen vollständigen Bevölkerungswechsel erlebt hat.
Während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis in eine Festung verwandelt, die 4 Tage nach Berlin kapitulierte, wurde sie nach Kriegsende an Polen angegliedert. Die deutschen Vorkriegsbewohner wurden nach Westen umgesiedelt, an ihre Stelle traten Vertriebene aus Zentralpolen und ehemaligen Städten aus den von der Sowjetunion übernommenen Ostprovinzen des Landes, vor allem aus dem heute ukrainischen Lwów. Die Mischung von Neuankömmlingen über mehrere Generationen hinweg schuf eine neue Stadt, in der die Vergangenheit nicht belasten muss, sondern eine Quelle der Inspiration sein kann. Ein Symbol für die Bestrebungen des heutigen Breslau ist der Titel der Kulturhauptstadt Europas, den die Stadt 2016 verliehen bekam.
Bevor Sie mit der Besichtigung beginnen
Zuallererst: Gehen Sie spazieren! Das Zentrum von Breslau ist für Fußgänger besonders anmutig. Abgesehen von einem kurzen Abstecher zur Jahrhunderthalle (Hala Stulecia) sind die interessantesten Orte fußläufig erreichbar. Achten Sie unterwegs auf die Details der Häuser und die Architektur – die Stärke vonnBreslau liegt im Detail!
Wir sagen definitiv Nein zu leeren Mägen! Breslau ist eine Stadt, in der es unmöglich ist, hungrig zu sein. Hin und wieder stößt man auf Orte, an denen man preiswert und lecker essen oder trinken kann. Auf unserer Route können sie Denkmälern bewundern und die Kulinatik genießen. So eine Balance sollte es überall geben!
Um den Marktplatz herum
Das Herz der Stadt bildet der Marktplatz – ein großer vierseitiger Ring mit einer Insel aus mittelalterlichen Gebäuden in der Mitte. Gleich daneben befindet sich das prächtige gotische Rathaus, unter dem ein alter Pranger steht. Der ehemalige Hinrichtungsort für Verbrecher ist heute (etwas ironisch) der beliebteste Treffpunkt der Einwohner. Wagen Sie sich in die engen Gassen des inneren Blocks, wo es viele stimmungsvolle Kneipen und Restaurants gibt. In der Töpferpassage (Przejście Garncarskie) unter der Nummer 2 befindet sich die Buchhandlung Tajne Komplety, die bei den jungen Bewohnern von Breslau sehr beliebt ist, und etwas abseits des Marktes, in der Jatki-Straße, gibt es zahlreiche Kunstgalerien und Geschäfte. Wenn Sie mit leerem Magen in den Tag starten, frühstücken Sie am besten im Bułka z Masłem (8A Włodkowica St. – darauf werden wir noch zurückkommen).
Stadt der Zwerge
Achten Sie bei Ihrem Spaziergang durch die Straßen auf die winzigen Zwergenfiguren. Sie nehmen verschiedene, extravagante Posen ein und erfreuen sich der ungebrochenen Sympathie der Einwohner und Touristen. In Breslau gibt es über 360 davon! Sie sind ein Andenken an die Bewegung der Orangenen Alternative (Pomarańczowa Alternatywa), deren Vertreter mit orangefarbenen Mützen mit Pompons versuchten, die Absurditäten der späten kommunistischen Ära in Polen ins Lächerliche zu ziehen.
Wenn Sie den Geist des mittelalterlichen Breslau spüren wollen, wenden Sie sich am besten der gotischen Magdalenenkirche zu. Die beiden Backsteintürme dieses riesigen Gebäudes sind in 45 Metern Höhe durch die so genannte Brücke der Büßerinnen (Most Pokutnic) verbunden. Ihren Namen verdankt sie lokalen Legenden nach, alten Breslauer Bürgern, die hier Frauen zurücklassen wollten, die Spaß einem Leben mit Haus und Kindern bevorzugten. Unabhängig davon, ob Sie für etwas zu büßen haben, sollten Sie versuchen, diesen schmalen Steg zu erklimmen, um von dort aus das schöne Panorama von Breslau zu bewundern. Das Einzige, was an der Spitze fehlt, ist der Glöckner von Notre Dame!
In Richtung Oder – Cafe Kalambur
Vom Marktplatz aus gehen wir die Kuźnicza-Straße entlang in Richtung Oderufer. Auf dem Weg dorthin, finden Sie unter der Hausnummer 29, das Art Café Kalambur. Dieses charmante traditionelle Lokal ist ein Treffpunkt der lokalen Künstler-Bohème – seine besten Jahre scheint es schon lange hinter sich zu haben, wie viele Cafés, die in Reiseführern als „künstlerisch“ beschrieben werden, aber Sie werden von dem faszinierenden Innenraum im Jugendstil nicht enttäuscht sein. Ganz Breslau ist voll von schönen Art-déco-Mietshäusern – die Frucht der bürgerlichen Blütezeit, die die Stadt an der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts erlebte.
Ein Stück weiter befindet sich das Hauptgebäude der örtlichen Universität, das auf der anderen Seite an die Oder grenzt. Wenn Sie Zeit haben, besuchen Sie das Universitätsmuseum und sehen Sie sich die Aula Leopoldina an, den Repräsentationssaal der Universität. Die ungezügelten, festen Skulpturen und Gemälde, die den Innenraum füllen, sind das wahre Wesen des Barocks.
Etwas abseits, in der architektonisch interessanten Markthalle mit ihren gewölbten Stahlbetonbögen, kann man viele lokale Produkte kaufen und einfach gut essen. Sie ist voll von Ständen, an denen die Einwohner von Breslau ihre täglichen Einkäufe erledigen, sowie von Handwerkern und Ständen, die sich an die örtliche Studentengemeinschaft wenden.
Panorama von Racławice
Von der Markthalle aus ist es nur ein kurzer Spaziergang zum Ufer der Oder, die die Piasek-Insel von beiden Seiten umströmt. Von hier aus können Sie einen kurzen Spaziergang zum Panorama von Racławice unternehmen. Das zylindrische Gemälde, das in vierzehn Teilen mit einer Gesamtlänge von 114 Metern auf einem Segeltuch gemalt wurde, ist nicht nur eine außergewöhnliche optische Täuschung und ein Beispiel für die Malerei des 19. Jahrhunderts, sondern auch ein Symbol für die Migration der polnischen Kultur aus Lwow nach Breslau in der Nachkriegszeit. Das Gemälde stellt eine Schlacht während eines der antirussischen Aufstände Ende des 18. Jahrhunderts dar. Ursprünglich in Lwow ausgestellt, fand es nach langen Verhandlungen mit der Sowjetunion sein neues Zuhause in Breslau.
An der Oder
Zwei Brücken über die Piasek-Insel führen Sie nach Ostrów Tumski, dem ältesten Teil der Stadt. Die Schönheit dieses kleinen, abgelegenen Viertels, über dem sich die Türme der Kathedrale St. Johannes des Täufers erheben, ist einzigartig. Es gibt originelle Gaslampen, die jeden Abend von einer Gestalt mit hochgezogener Kapuze mit einem schwarzen Umhang angezündet werden. Das ist kein Scherz! Es ist die Aufgabe der von der Stadt angestellten Laternenanzünder, täglich fast 100 historische Laternen zu entzünden und zu löschen, die zu einem der Symbole von Breslau geworden sind. An warmen Tagen sollten Sie unbedingt das Eis in der nahe gelegenen Eisdiele (Polish Lody, Bema Square) probieren. Sein Geschmack ist unvergleichlich!
Die Rückkehr zur Insel Piasek erfolgt über die malerische Tumski-Brücke, die regelmäßig mit Vorhängeschlössern von Verliebten geschmückt ist. Wenn Sie im späten Frühling oder im Sommer in Breslau sind, ist dies eine gute Zeit, um die nahe gelegene Wyspa Słodowa zu besuchen. Hier gibt es zahlreiche Bars am Wasser oder auf Booten, in denen man sich ausruhen kann, bevor man seine Besichtigungstour fortsetzt. Der Blick auf die über dem Wasser thronenden barocken Universitätsgebäude und die grünen Inseln in der Oder bleiben lange in Erinnerung!
Ausflug zur Jahrhunderthalle
An dieser Stelle schlagen wir vor, die Umgebung zu wechseln und die beeindruckende Jahrhunderthalle aufzusuchen. Sie erreichen sie bequem mit den Straßenbahnen 1, 2, 4 oder 10 vom gegenüberliegenden Oderufer aus.
Die monumentale Jahrhunderthalle ist ein symbolischer Vorbote des Betonzeitalters im Bauwesen. Sie wurde anlässlich einer Ausstellung gebaut, mit der der deutsche Kaiser den 100. Jahrestag des Sieges über Napoleon im Jahr 1913 feiern wollte. Als der Chefarchitekt von Breslau, Max Berg, öffentlich einen Plan für ein Gebäude mit der damals größten Kuppel der Welt vorstellte, das vollständig aus dem damals noch wenig bekannten Material Stahlbeton gefertigt war, tippten sich die mit dem Stahlzeitalter aufgewachsene Architektenschaft buchstäblich an die Stirn. Die durchbrochene Struktur, die durch zahlreiche Fenster intensiv beleuchtet wird, brachte Breslau zu Recht internationale Anerkennung auch heute noch beeindruckt der Saal durch seine Größe und seine architektonische Kunstfertigkeit. Vor einigen Jahren wurde dieses Meisterwerk der frühen Moderne in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
Vier-Kuppel-Pavillon
Die Halle ist von großzügig angelegten Grünflächen umgeben: eine beeindruckende, mit einer Pergola überdachter Säulkengang auf dem im Sommer das Grün wächst, ein lauschiger japanischer Garten und ein Zoo, der noch aus der Zeit vor Bergs Entwürfen stammt. Besuchen Sie unbedingt den benachbarten Vier-Kuppel-Pavillon (Pawilon Czterech Kopuł), in dem eine großartige Ausstellung mit Werken der besten zeitgenössischen polnischen Künstler zu sehen ist. Das Breslau der Nachkriegszeit ist zu einem künstlerischen Schmelztiegel geworden – isoliert von seinen Wurzeln, aber in enger Verbindung mit seiner eigenen Vorstellungskraft, wirkten hier der Visionär des modernen Theaters, Jerzy Grotowski, und der Meister des Surrealismus im Kino, Wojciech Jerzy Has. Neben Werken von Künstlern, die in der Welt der zeitgenössischen Kunst so bekannt sind wie Mirosław Bałka, besitzt das Museum in Breslau die größte Sammlung von Werken von Magdalena Abakanowicz – einer Künstlerin, die das Verständnis von Skulpturen von heute revolutioniert hat.
Am Abend
Ihr Aufenthalt in Breslau wäre unvollständig ohne einen Abend im beliebten Viertel rund um die Pawła-Włodkowica-Straße. Es ist nicht nur ein Ort, an dem sich die interessantesten Cafés und Clubs mit guter Musik sammeln, sondern auch eine Ecke, in der die stärkste multikulturelle DNA der Stadt zu hören ist – innerhalb weniger Straßen findet man eine katholische Kirche, eine protestantische Kirche, eine orthodoxe Kirche und die prächtige Synagoge zum Weißen Storch, die glücklicherweise den Krieg überdauert hat. Nach 20 Jahren sorgfältiger konservatorischen Arbeiten finden im repräsentativen Innenraum des jüdischen Tempels nun Gottesdienste und Konzerte statt.
Wir empfehlen einen kurzen Aufenthalt im Club Mleczarnia mit seinem gemütlichen, von den Breslauern geliebten Innenhof, der im Sommer mit Liegestühlen gefüllt ist, ein Abendessen im leicht exzentrischen lateinamerikanischen Restaurant Peruviana, in der eleganten Wein- und Buchhandlung Cocofli oder eine Pizza von der Włodkowica-Straße, um die sich in der Stadt (buchstäblich!) Legenden ranken.
Und dann sind da noch die Festivals
Wenn Sie nach einem solchen Besichtigungs-Programm noch genügend Energie haben, besuchen Sie das Nationale Forum für Musik und nehmen Sie an einer der kulturellen Veranstaltungen teil, für die Breslau in Polen bekannt ist. Dieser moderne Veranstaltungsort mit einem großen Saal und hervorragender Akustik wurde anlässlich der Feierlichkeiten zur Kulturhauptstadt Europas in Breslau errichtet. Hier finden Konzerte wie das Festival der klassischen Musik Wratislavia Cantans (jährlich im September) und das Festival Jazz nad Odrą (ebenfalls im September) statt. Die letztgenannte Veranstaltung hat eine lange, fast 60-jährige Geschichte – sie ist einer der wichtigsten Punkte im Kalender der polnischen Jazzfans.
Unabhängig davon, wie viele der oben genannten Dinge Sie während Ihres Aufenthalts in Breslau unternehmen, werden Sie die Stadt mit guten Erinnerungen verlassen. Es ist unmöglich, diese Stadt nicht zu mögen!